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Lehrersuizid regt Besinnung im bildungsbessessenen Südkorea an

Lehrerin mit Textnachrichten und Anrufen von Eltern bombardiert

Wochenlang wurde eine junge südkoreanische Lehrerin mit Textnachrichten und Anrufen von Eltern bombardiert, wütend darüber, wie ihr Kind behandelt wurde. Dann wurde sie tot in ihrem Klassenzimmer aufgefunden.

Der Selbstmord der 23-jährigen Frau, die gerade im zweiten Lehrjahr war, löste eine Welle von Trauer und Wut aus, die in einer Reihe von Protesten mündete, darunter ein seltener Streik, als Lehrer sich gegen die, wie sie es nennen, unhaltbaren Arbeitsbedingungen wehren. Jahrzehntelang wurde körperliche Misshandlung durch Lehrer an südkoreanischen Schulen stillschweigend toleriert, sagen Experten, aber Anfang der 2000er Jahre startete das Land eine große Kampagne zur Ausrottung dieser Methoden, was schließlich in einer umfassenden Gesetzgebung zum Kindesmissbrauch im Jahr 2014 gipfelte.

Dies, so sagen Lehrer jetzt, habe dazu geführt, dass das Pendel zu weit in die andere Richtung ausgeschlagen habe. Sie sagen, dass die Gesetzgebung, anstatt schutzbedürftige Schüler zu schützen, Lehrern institutionellen und rechtlichen Schutz geraubt und aufdringliche Eltern dazu ermächtigt hat, sie zu schikanieren.

„Ich fühlte ein überwältigendes Gewicht und wollte alles loslassen“, schrieb die verstorbene Lehrerin zwei Wochen vor ihrem Tod in ihrem Tagebuch, das posthum von der Seoul Teachers‘ Union veröffentlicht wurde.

Einer ihrer Erstklässler schlitzte einem anderen Kind mit einem Bleistift das Gesicht auf, nachdem die Lehrerin eingriff, zeigen Telefonaufzeichnungen, dass sie wiederholten Anrufen und Nachrichten von den Eltern des Täters ausgesetzt war, sogar auf ihrem Privattelefon.

„Ich konnte nicht atmen“, schrieb sie in einem ihrer letzten Einträge.

Mehrere Lehrer erzählten der AFP, dass ihre Erfahrung bei ihnen zutiefst Anklang gefunden habe: dass sie wütenden Auseinandersetzungen und Drohungen über Beschwerden von Kindesmissbrauch seitens der Eltern unterworfen seien. Sie beschrieben auch den ununterbrochenen Druck, der auf sie ausgeübt wurde, um Aufzeichnungen über Mobbing in der Schule oder andere Makel zu löschen, die die Aussichten eines Kindes auf Spitzenuniversitäten beeinträchtigen könnte – ein entscheidender Gesichtspunkt der wettbewerbsintensiven und bildungsbesessenen Gesellschaft von Südkorea.

Als „Kinderschänder“ gebrandmarkt

Seit dem Selbstmord der Lehrerin am 18. Juli versammeln sich jedes Wochenende Lehrer im Zentrum von Seoul, um zu protestieren und fordern einen besseren Schutz für ihren Beruf und ein Ende des elterlichen Mobbings. Choi Jun-hyuk, ein 27-jähriger Grundschullehrer, der sich den Kundgebungen angeschlossen hat, sagte gegenüber der AFP, dass sich Pädagogen derzeit in einer unmöglichen Lage befinden. Einer seiner Drittklässler hat sich ihm gegenüber explizit und unflätig ausgedrückt, aber als er den Jungen zur Rede stellte, wehrte dieser ihn unsanft ab.

„Ich hätte ihn disziplinieren sollen, aber die Angst, als Kinderschänder gebrandmarkt zu werden, lastete auf mir, also habe ich ihn vom Haken gelassen“, sagte er.

Eine andere Lehrerin sagte gegenüber der AFP, sie habe keine Möglichkeit, zu verhindern, dass widerspenstige Schüler den Unterricht einer ganzen Klasse stören.

„Wenn ich sie von anderen Schülern trenne, zum Beispiel indem ich sie auffordere, im Flur zu stehen, könnte ich des Kindesmissbrauchs beschuldigt werden“, sagte Seo Chan-yang, die seit 15 Jahren Grundschüler unterrichtet.

Die Forderungen der Eltern seien oft absurd, sagte sie und beschrieb einen Fall, bei dem sie in einem Bericht über einen Studenten schrieb, dass er „ziemlich gute Studienleistungen“ erbracht habe. Die Eltern verlangten von ihr, den Bericht zu überarbeiten, mit der Begründung, er könne Auswirkungen auf die zukünftigen Universitätsaussichten des Kindes haben, das Kind sei gerade mal sieben Jahre alt gewesen.

Unschuldig bis zum Beweis der Schuld?

Das Problem besteht laut Lehrern darin, dass das Gesetz von 2014 „Kindesmissbrauch“ weit gefasst definiert, aber auch vorschreibt sofort der Polizei gemeldet zu werden. Eltern fühlen sich nun befugt, Lehrern „emotionalen Missbrauch“ vorzuwerfen, gegenüber dem was Lehrer als normale Disziplinarmaßnahmen im Klassenzimmer empfinden. Jeder Polizeibericht löst monatelange Ermittlungen und möglicherweise die Entlassung von Lehrern aus, da die Bildungsbehörden sie oft präventiv suspendieren.

„Der Grundsatz der Unschuld bis zum Beweis der Schuld gilt nicht“, sagte Seo gegenüber der AFP.

Sogar Seouls Bildungsdirektor Cho Hee-yeon hat das Ungleichgewicht eingeräumt mit Lehrern, die „von Anfang an als schuldig angesehen werden“, wenn sich Eltern beschweren. Nach den Protesten erklärte das Bildungsministerium von Seoul, dass Lehrern erlaubt ist, störende Schüler aus dem Unterricht zu verbannen, ohne befürchten zu müssen, als Kinderschänder abgestempelt zu werden, ein Schritt, der von Lehrergewerkschaften begrüßt wird.

Viele Eltern haben möglicherweise selbst in den 1980er und 90er Jahren Missbrauch erlebt und Gewalt in der Schule ist in der südkoreanischen Popkultur thematisch dargestellt, wie etwa in „Friend“ aus dem Jahr 2001, das von einem Lehrer handelt, der Kinder auf den Boden schlägt, bis hin zum neueren Netflix-Hit „The Glory“ in dem es um Mobbing in der Schule geht.

„Als ich aufwuchs, war ich selbst körperlicher Züchtigung ausgesetzt“, sagte Lehrer Choi. „Aber die Zeiten haben sich geändert. Es gibt keine Lehrer, die den Schülern so etwas heutzutage antun würden.“

Quelle:
2023 AFP

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