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Alt und arm

Thailand schlafwandelt auf dem Weg in eine Alterungskrise

Sofern sie sich nicht in der heißen Sonne für eine kostenlose Mahlzeit anstellt, ist Ketchup auf Brot das einzige thailändische Essen, dass sich die Witwe Noi mit ihrer kleinen staatlichen Rente leisten kann. Ihr Gehalt von rund 82 US-Cent pro Tag macht das Kochen zu Hause nahezu unmöglich.

„Wenn es zu nass ist, um her zu kommen, esse ich sieben bis elf Brot mit Ketchup“, sagte die 73-Jährige gegenüber der AFP, an einem Essen liefernden Zelt der „Bangkok Community Help Foundation“, welche täglich bis zu 500 Obdachlose und Arme der Stadt ernährt.

Laut der Weltgesundheitsorganisation ist Thailand eine der am schnellsten alternden Gesellschaften der Welt – aber ihre Wirtschaft ist schlecht vorbereitet. Untersuchungen des großen thailändischen Kreditgebers Kasikorn Bank gehen davon aus, dass das Königreich bis 2029 der Liste überalterter Gesellschaften, in denen mehr als 20 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahren sind, hinzugefügt wird.

Aber Thailand hat nicht das gleiche Wohlstandsniveau erreicht wie einige andere alternde Gesellschaften, wie z. B. Japan und Deutschland.

„Wir sind alt, bevor wir reich sind“, sagte Burin Adulwattana, Chefökonom der Kasikorn Bank. „Wir sind nicht bereit.“

Derzeit leben in Thailand mehr als 12 Millionen über 60-Jährige – das sind rund 18 Prozent der Bevölkerung. Niedrige Einkommen, begrenzte Ersparnisse und unzureichende staatliche Renten werden dazu führen, dass viele Menschen extreme Armut ertragen müssen; weniger Steuerzahler und voraussichtlich eine Verdreifachung der Gesundheitsausgaben werden eine enorme finanzielle Belastung darstellen.

„Tickende Zeitbombe“

„Es ist definitiv eine tickende Zeitbombe“, sagte Kirida Bhaopichitr von Thailands Forschungsinstitut für Entwicklung.

Armut unter älteren Erwachsenen ist bereits weit verbreitet, 34 Prozent der thailändischen Senioren leben unterhalb der Armutsgrenze und müssen laut Kasikorn mit weniger als ca. 756 Euro (830 US-Dollar) pro Jahr auskommen. Um in Bangkok gut in den Ruhestand gehen zu können, seien mindestens 91.000 Euro (100.000 US-Dollar) an Ersparnissen nötig, sagte Burin, aber viele Thailänder gehen mit weniger als ca. 1.185 Euro (1.300 US-Dollar) in den Ruhestand.

Im August kündigte die ausscheidende Regierung an, dass sie eine bisher allgemeine Rente von ungefähr 15 – 25 Euro (16-27 US-Dollar) pro Monat für Geringverdiener einschränken werde, was etwa sechs Millionen Menschen abschneiden wird. Der thailändische Premierminister Srettha Thavisin hat geschworen, die Armut bis 2027 zu beseitigen und „niemanden zurückzulassen“. Seine Partei hatte im Wahlkampf ein ungefähr 7,4 Milliarden Euro (8,1 Milliarden US-Dollar) teures Sozialhilfepaket für ältere Menschen versprochen, aber keine Rentenerhöhung angekündigt.

Letzten Monat wies der Minister für soziale Entwicklung, Warawut Silpa-archa, Forderungen nach einer Anhebung der Rente wurde auf ca. 74 Euro (81 US-Dollar) im Monat zurück, da das Königreich sie sich nicht leisten könne.

„Ich wünschte, die Regierung könnte mehr Unterstützung leisten, denn im Moment sind die Lebenshaltungskosten explosiv angestiegen“, sagte die 73-jährige Chusri Kaewkhio im Khlong Toei-Slum von Bangkok.

Ihr 75-jähriger Ehemann, Suchart Kaewkhio liegt in einer Windel für Erwachsene auf dem Bett und starrt  auf eine Decke mit abblätternde Farbe und Wasserschäden, aber Chusri sagte, sie hätten kein Geld für Reparaturen. Sie leihen sich jeden Monat Bargeld, um teure Milch für die Ernährungssonde ihres Mannes zu kaufen, und sind fünf Monate im Rückstand mit ihren Stromrechnungen.

In Thailand gibt es die kulturelle Erwartung, dass erwachsene Kinder sich um ihre alternden Eltern kümmern. Aber Ökonom Burin sagte, dass dies auf lange Sicht nicht nachhaltig sei, da die Wirtschaft mit weniger Arbeitskraft, geringerem Wachstum und geringeren Konsumausgaben zu kämpfen habe.

„Die Rente reicht nicht“

Während Männer bis etwa 65 arbeiten, beginnen thailändische Frauen etwa mit 50 Jahren, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden um die Pflege für alternde Eltern und Schwiegereltern zu übernehmen, bemerkte Forscher Kirida und fügte hinzu, dass es eine Zunahme bezahlbarer Altentagesstätten geben muss.

Orn Keawwilat, 57, steht vor einer schwierigen Aufgabe: Sie muss sich um ihre kranken, älteren Eltern kümmern während sie einen kleinen Gemischtwarenladen betreibt, um ihren 12-köpfigen Haushalt zu ernähren. Ihr bettlägeriger Vater Arj, 88, stürzte kürzlich beim Versuch, auf die Toilette zu gelangen, und verlor seine Sprechfähigkeit aufgrund einer nervenmotorischen Erkrankung.

„Er muss die ganze Zeit von Hand gefüttert und beaufsichtigt werden, weil er manchmal erstickt“, erzählte Orn der AFP.

Der demografische Wandel in Thailand erfordert große physische und kulturelle Veränderungen und Investitionen. Das Arbeitsministerium erwägt, das Rentenalter über die derzeitigen 55 bis 60 Jahre hinaus anzuheben. Eine künftige Regierung könnte verpflichtet werden, die Mehrwertsteuer von sieben auf zehn Prozent anzuheben und die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften zu erwägen, sagte Burin.

Der Gouverneur von Bangkok, Chadchart Sittipunt, fährt den Bau von Senioren-Aktivitätszentren und Gesundheitskliniken hoch, doch für viele ist ein würdevoller Ruhestand ein Wunschtraum. Eine ehemalige Lehrerin, die 30 Jahre unterrichtete und nie heiratete, verlor während der Pandemie ihr Zuhause und schläft jetzt auf Sitzen am Bahnhof Bang Sue Grand.

„Die Rente reicht nicht. Ich mache auch Plastikblumen, um sie auf der Straße zu verkaufen.[…] Aber ich möchte einen Job“, sagte die 70-Jährige.

Quelle:
AFP

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