Amagasaki Bahnhof Japan
©Kiyoua News/Paw-Photography.de

Japans Hardcore-Zugfans geraten aus den Fugen

East Japan Railway geht neuen Weg um Zugfans entgegen zu kommen

Gedränge, Konfrontationen und Vollangriffe. Japans viele Zugfans sind größtenteils sanftmütige Enthusiasten, die sich leidenschaftlich für das berühmte Eisenbahnsystem des Landes interessieren, aber eine kleine Gruppe erlangt überraschende Bekanntheit.

Mit seiner berühmten Pünktlichkeit, Spitzentechnologie und akribischen Fahrplänen hat das japanische Eisenbahnsystem seit langem Neid auf der ganzen Welt hervorgerufen.

Es ist also keine Überraschung, dass das Land eine vielfältige Landschaft von Zugfans beherbergt, von denen, die gerne über Fahrpläne brüten, bis hin zu anderen, die das Geräusch vorbeifahrender Züge lieben und sogar aufnehmen.

Die wahrscheinlich bekannteste Gruppe, ist eine Sippe namens „Toritetsu“ (Zugfotografen). Sie sind bestrebt, perfekte Fotos von herannahenden Zügen zu machen.

Es gibt sie schon seit Jahrzehnten, aber in den letzten Jahren haben Berichte über lautstarke Auseinandersetzungen, Hausfriedensbruch und sogar Gewalt an Bahnhöfen „Toritetsu“ zu den „Bad Boys“ des japanischen Trainspotting gemacht.

Einige argumentieren, dass das außer Kontrolle geraten Verhalten nicht ganz neu ist. Und verweisen auf rasende Abschiede für ausgemusterte Dampflokomotiven in den 1960er und 70er Jahren.

Aber neuere Vorfälle, einschließlich der Belästigung eines Fotobomben-Radfahrers und ein Angriff, bei dem ein Teenager letztes Jahr eine Schädelfraktur erlitt, haben einige Enthusiasten beunruhigt.

Die Umgangsformen sind sicher schlechter geworden“, beklagte Masao Oda, ein Siebzigjähriger, der seit etwa 50 Jahren Zugfotos macht.

„Ich liebe alles an Zügen“

Es ist ein unangenehmes Gefühl für Toritetsu wie den 27-jährigen Akira Takahashi. „Die Leute zeigen jetzt mit dem Finger auf mich“, erklärt Takahashi, dessen größte Obsession das Elektrolokomotivenmodell EF66 ist, welches er als sein „Idol“ bezeichnet.

„Das negative Bild von uns überwiegt jetzt… Ich möchte nicht mit einigen von uns in einen Topf geworfen werden, die ärger verursachen.“

Die meisten Fans sind mehr wie der 19-jähirge Ryunosuke Takagai. Takagai ist ein Student, der dafür bekannt ist fünf Uhr morgens aufzustehen, um seine Leidenschaft zu dokumentieren und manchmal Teilzeitarbeit in einer Fabrik übernimmt, um sein Hobby zu finanzieren.

Ich liebe alles an Zügen – ihren Sound, ihre Atmospähre“, erzählt er der AFP. „Dieser Moment, wenn du erfolgreich den Zug eingefangen hast, auf den du stundenlang gewartet hast, ist wirklich erfüllend“, fügt er hinzu.

Laut Jun Umehara, einem freiberuflichen Eisenbahnjournalisten, der früher bei einem der führenden japanischen Zugmagazine tätig war, könnte das zunehmend raue Verhalten mancher Toritetsu auf ihr Streben nach dem perfekten Foto zurückzuführen sein. Er sagt, Faktoren wie weniger „auslaufende“ Züge und mehr Stadtentwicklung bedeuten, dass Hobbyfotografen auf der Jagd nach ihren Traumbildern auf immer kleinerem Raum zusammengedrängt werden.

„Jeder Zug hat seinen letzten Moment, der für sie das letzte fehlende Puzzleteil ist, das sie brauchen, um ihre Fotosammlung zu vervollständigen“, erzählt er. „Die Vorstellung, dieses letzte Stück zu verpassen, ist für sie fast unerträglich“, fügt Umehara hinzu. „Daher die Verzweiflung.“

Nicht mehr „der Feind“

Im Laufe der Jahre hat die Wohnungsbauentwicklung auch dazu geführt, dass einige alte Drehorte zerstört wurden, was es für Toritetsu noch schwieriger macht, die „tadellosen“ Zugfotos nachzuahmen, mit denen sie aufgewachsen sind.

Die Bilder, die von Japans Nischen-Eisenbahnmagazinen mit ihrer treuen Toritetsu-Leserschaft gezeigt werden, werden oft mit klarem Blick auf die Züge aufgenommen – frei von Hindernissen wie Zäunen, Bäumen und Passagieren.

„Aber diese beispielhaften Fotos in realen Situationen nachzuahmen, ist fast unmöglich“, erklärt Umehara. „Und doch ist es das, wonach sie suchen.“

Die Community der Zugfans umfasst eine vielfältige Gruppe von Enthusiasten.

Die „noritetsu“, die es einfach genießen Zug zu fahren.

Die „ekibentetsu“, die ihren Fokus auf die ekiben bentos – die Mahlzeiten, die in Bahnhöfen verkauft werden, gelegt haben.

Die „soshikitetsu“, die sogenannten „Trauernde“ von ausscheidenden Zügen.

Laut Nobuaki Takada, einem leitenden Berater der in Tokio ansässigen Firma NRI Social Information System Services, gab es im Jahr 2015 landesweit schätzungsweise fünf Millionen Zugfans – von Casual bis Hardcore.

Und das Eindringen von Toritetsu ist zu einem zunehmenden Problem für Bahnbetreiber geworden, die oft mit strengeren Sicherheitsvorkehrungen reagiert haben.

Aber im vergangenen Jahr änderte der Branchengigant East Japan Railway Company, allgemein bekannt als JR East, seinen Kurs und gründete einen offiziellen Fanclub für Zugbegeisterte.

Man kann sich wirklich darauf verlassen, dass Toritetsu wunderschöne Fotos von unseren Zügen machen und sie im Internet bewerben“, erklärt Yusuke Yamamoto, ein Beamter der Tochtergesellschaft JR East Start UP Co.

„Anstatt sie also wie Feinde zu behandeln, möchten wir mit dieser Fan-Community eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen.“

Er möchte, dass die Community das Stigma überwindet, das mit ihren Randelementen verbunden ist, und verweist auf die Art und Weise, wie Anime- und Manga-Obsessive in Japan immer mehr zum Mainstream geworden und weniger sozial isoliert sind.

„Toritetsu ist eine Kultur, und ich hoffe, dass das Image sich ändert“, sagte Yamamoto.

Quelle:
2022 AFP

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